Wittenberger ThesenAnschlag – Update 2020

31. Oktober 2020 – Reformationstag (All Hallows Eve)

Herr, ich habe gesündigt. Ich habe eine heimliche Nacht in Wittenberg verbracht und dort verwerfliche Dinge getan. Aber ich schwöre, dass ich es aus aufrichtigsten Motiven tat, mit reinster Menschenliebe nur im Herzen. So wie es am 31. Oktober 1517 der Mönch Martin Luther tat, als er seine Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche genagelt haben soll. „Mich wundert, daß bei solchem unermeßlichem Wucher die Welt noch steht.“ habe er gesagt. Hat sich Luft gemacht und einen Disput eröffnet, der letztlich die katholische Kirche spaltete. Der Beginn dieser, weit über seine Intention hinausgehenden, Reformation ist nun reichlich 500 Jahre her und mich wundert, dass bei solch unermesslicher Unmenschlichkeit wie heute, die Welt sich noch dreht. Daher habe ich heute Nacht Luthers Thesenanschlag wiederholt und ein Update an die Schloßkirche zu Wittenberg geklebt. Nageln geht nicht mehr an der neumodischen Bronzetür.

Thesentür, Schloßkirche Wittenberg, 31.10.2020

Aber zur Sache: 95 Thesen in Latein, von einem rülpsenden, furzenden, gern auch mal devoten Antisemiten verfasst, liest 2020 ohnehin kaum jemand mehr. Dazu die ständigen Wiederholungen, als hätte der Mann laut gedacht. Deshalb hier die Zusammenfassung, für die Tür.

These Nr. 21: Deshalb irren jene Ablaßprediger, die sagen, daß durch die Ablässe des Papstes der Mensch von jeder Strafe frei und los werde.

Richtig: nichts wird erlassen. Denn es geht nur um Geld, damals wie heute. Der Moderne Ablasshandel hat das System noch perfektioniert. Wir fliegen so viel wir wollen und treten aufs Gas und wen das Gewissen drückt, der kauft CO2-Zertifikate. Nie war Sündigen so schön und der Straferlass so einfach. Nicht mal das Fegefeuer muss noch dazuerfunden werden, denn die Überhitzung des Planeten ist Tatsache. Wir kaufen Ablass und saufen Wein. Wir gehen zu Demos und spenden denen, die verdrecktes Wasser trinken müssen. Wir waschen unser Gewissen rein und zahlen für hemmungslosen Hedonismus. Und was machen die Bevölkerungsteile mit Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die aber mit rechtsextremen Morden nichts zu tun haben wollen? Hier läuft die Selbstentlastung bereits im Vorfeld über die demokratische Wahl faschistischer Parteien. Und wem das nicht reicht, der trägt Omas die Tasche oder spendet fürs Tierheim. Spätestens Weihnachten sind wir mit unserer Welt im Reinen. Aber wie Luther schon sagte: das ist ein Irrtum. Und weiter geht es mit..

These Nr. 27: Menschenlehre verkündigen die, die sagen, daß die Seele (aus dem Fegefeuer) emporfliege, sobald das Geld im Kasten klingt.  

Genau: Vergebung gegen Geld ist gleichfalls ein Irrtum. Und Spenden z.B. für Flüchtlinge auf Lesbos haben weder den Brand in Moria gelöscht, noch das eingebildete Fegefeuer. Die Mitschuld Europas an der immer noch menschenunwürdigen Situation auf den griechischen Inseln bleibt. „Menschenlehre“ sagt Luther und meint Gottlosigkeit oder Verweltlichung. Am Vorabend von Allerheiligen hat er seine Thesen veröffentlicht. Heute, an All Hallows Eve, oder Halloween. Es gibt wohl kein besseres Beispiel für die vollständige Verweltlichung und Kommerzialisierung eines Tages als Halloween. Säkularisiert bis zum kompletten Bedeutungsverlust und von der Fressindustrie mit Zucker zugeschüttet. Ein überzähliges Fest für dummdreiste Kinder und ihre irrlichternden Eltern. Danach beginnt, mit Allerheiligen, der November. Über die Jahrhunderte hat die prunksüchtige katholische Kirche sich so viele Heilige ausgedacht, dass irgendwann die Tage des Jahres nicht mehr reichten, um jeden einzeln zu bejubeln. An Allerheiligen werden sie daher, wie praktisch, im Paket abgefeiert. Ein stiller Feiertag übrigens, Tanz und laute Musik sind verboten. Und am 2. November wird noch schnell Allerseelen hinterhergeschoben. Den armen Seelen der Verstorbenen im Fegefeuer wird da gedacht. Egal wo es auf dieser Welt gerade wirklich brennt. So, weiter im Thesentext..

These Nr. 43: Man soll den Christen lehren: Dem Armen zu geben oder dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablaß zu kaufen.

Hatten wir bereits verstanden, Martin. Wir ersetzen lediglich „Christen“ durch „Menschen“, dann passt es universell. Also bitte tatsächlich und ernsthaft den Armen helfen. Ihretwillen und nicht des eigenen kleinen Gewissens wegen! Interessanterweise ist für derart Weltzugewandtheit kein Gedenktag im Kirchenjahr vorgesehen. Zwischen Allerheiligen und Allerseelen fehlt sozusagen Allerlebenden. Aber: zwischen Allerseelen und Allerheiligen liegen ja noch 363 Tage. Für das Leben, für die noch Lebenden. Nicht zum Gedenken, sondern für Lärm, Aktion, Musik und Bambule. Allerarmen, Allergeflüchteten, Allerkranken, Allerabgebrannten, Allerverfolgten, Allerhungernden, Allerertrinkenden.. So sollten unsere Tage heißen. Und die nächste These bitte..

These Nr. 45: Man soll die Christen lehren: Wer einen Bedürftigen sieht, ihn übergeht und statt dessen für den Ablaß gibt, kauft nicht den Ablaß des Papstes, sondern handelt sich den Zorn Gottes ein.

Ja, wir Menschen sehen das Leid der Bedürftigen und übergehen es. Nicht alle, aber die überwiegende Mehrheit. Die christlichen Parteien können inzwischen sogar ungerührt über das Wasser gehen, in dem andere ertrinken. Wir kaufen Ablass oder schauen weg, weil es ja nicht schön anzusehen ist, wenn andere hungern, frieren, sterben usw. Und das Wegschauen wird uns leicht gemacht. Frisches Leid trendet immer nur ein paar Tage. Dann nervt es und wird durch erträglichere Bilder ersetzt. Um Menschen in Not kümmern sich ein paar Gutmenschen und die kriminellen NGOs. Zorn hierüber, von wem auch immer, wäre angebracht. So what, another these fort the 21st century, please..

These Nr. 50: Man soll die Christen lehren: Wenn der Papst die Erpressungsmethoden der Ablaßprediger wüßte, sähe er lieber die Peterskirche in Asche sinken, als daß sie mit Haut, Fleisch und Knochen seiner Schafe erbaut würde.

Jawoll, diesen Lehrsatz lassen wir mal komplett so stehen. Der amtierende Pontifex wünscht sich bekanntlich eine arme Kirche für arme Menschen. Passt! Leider steht er damit in seinem Laden sehr allein da und der Petersdom steht auch. Und wir Schafe sollten – unfriendly reminder – endlich die Frauenkirche wieder abreißen und Notre Dame nicht wieder aufbauen. Und was läuft so in den Wittenberger Kirchen am Reformationstag 2020? Falls Abendmahl, dann Hostienausgabe mit Handschuhen und Pinzette und Wein aus Einzelkelchen. Jeder bitte nur 1 Kelch! Ach ja, und zur vollen Stunde immer Reformationsimpulse. „In unserer Verantwortung und Pflicht liegt es, dass Wittenberg nicht zum Ausgangspunkt eines neuen Hotspots wird“ teilt die Stadt mit. Aber doch: Es braucht vielleicht gerade einen neuen Brennpunkt in Wittenberg. Luthers fetter Wanst ist sonst nur noch Projektionsfläche für das Stadt- und Landes-Marketing, für Luther-Bier und Luther-Buttermesser. Besser wären neue heiße Revolutionsimpulse. Hot spirit from Saxony-Anhalt! Und spirituell geht es weiter mit..

These Nr. 70: Aber noch mehr sind sie gehalten, Augen und Ohren anzustrengen, daß jene nicht anstelle des päpstlichen Auftrags ihre eigenen Phantastereien predigen.

Will heißen, die Bischöfe und Pastoren sollen die Ablassprediger beobachten, damit diese nicht ihre eigene Meinung verbreiten. Das gilt unverändert und diesmal für alle: Arschlöcher beobachten, Verführer erkennen. Augen und Ohren anstrengen. Den Herrschenden und dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden. Alles hinterfragen, insbesondere die auf dem Sockel. Und sage bitte niemand, Luther war ja gar kein richtiger Antisemit. Das ist wie der AfD-Versteher-Spruch „Ich bin ja kein Nazi, aber das musste mal gesagt werden.“ Mag sein, Luther war kein Antisemit im rassistischen Sinne, aber deren Kronzeuge war er wohl. Und seit ca. 1300 hängt die sog. Judensau, eine Schmähplastik, an der Stadtkirche zu Wittenberg. Ab 1570 ergänzt mit einem Schriftzug mit deutlichem Bezug zu einer antijüdischen Schrift Luthers. Und die Judensau hängt seither dort, trotz Klage. Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch. Luther wäre heute bei twitter und hätte ziemlich ekelhafte follower. So, next these following is..

„Judensau“, Stadtkirche Wittenberg

These Nr. 92: Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: „Friede, Friede“, und ist doch kein Friede.

Ja, genau. Und weg mit all jenen, die den Menschen predigen „Solidarität, Solidarität“, und ist doch nur flexible Solidarität. Jedoch, 95 Thesen sind echt zu viel! So was geht heutzutage nur mit zusammen abfeiern, wie bei Allerheiligen oder mit weglassen. Deshalb jetzt endlich die Letzte..

These Nr. 95: Man soll die Christen ermutigen, daß sie lieber darauf trauen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als sich in falscher geistlicher Sicherheit zu beruhigen

Blödsinn! Kein Trübsal, kein Himmelreich, keine Sicherheit und keine Beruhigung. Punkt. Lieber mal, wie Luther, einen dreckigen Witz machen und den Teufel mit einem Furz verjagen. Reformen und Reförmchen reichen 2020 nicht mehr. Unser europäisches Reformhaus wird weiterhin von falschen Propheten verrammelt. Wir sind stabil empört und zahlen unablässig Ablass. Da hilft nur noch Abriss. Revolution statt Reformation. Wieder mal heißer Herbst.  Novemberrevolution. So was in der Art. Und jetzt bitte Musik. Irgendwas mit Jesus oder so. Hauptsache laut. Vater, vergib mir.

Kulturbeitrag: Adam Angst „Jesus Christus“

Ihr habt mich ausgepeitscht, ihr habt mich angespuckt,
Nägel durch die Glieder schlagen war euch nicht genug.

Ich habe abgewartet und mir das angesehen.
Jetzt komme ich zurück du bring euch ein Problem.
Denn jetzt kommt die Revanche, sucht euch nen guten Sparringspartner.
Ich will euch nicht die Spannung nehmen, doch meiner war mein Vater.

Ich stürze auf die Erde, nach mir ein Feuerschweif.
Brauchst du einen Vorgeschmack, gib Rammstein bei Youtube ein.
Schluss jetzt hier mit Friede, Freude. Jetzt wird bezahlt,
denn euer Jesus hat die Schnauze voll und hat Bock auf Gewalt.

Ich kam zurück, mein Herz mit Hass erfüllt.
Mein Auftrag war Vergeltung, der finale Overkill.
Doch Vater vergibt mir.
Ich hab mich umentschieden, denn ich hab 8 Millionen Klicks und eine Show auf Pro7.
Lass mich noch ein paar Jahre hier, bitte hol mich nicht zurück zu dir.
Denn die sind nicht so wie früher. Ich glaube, die haben es echt verstanden.
Die lieben mich, die wollen Fotos und Autogramme.

Denn ich bin Jesus.

Warum erst jetzt ein Star? Ich war doch immer da?
Scheiß drauf, ich genieße. Hab die Gage in der Schweiz geparkt.
Neue Jünger, neues Glück. Und jeder kriegt sein Stück vom Kuchen ab.
Hätt ich doch damals Judas gut bezahlt.

Mein Reich komme. Mein Wille geschehe.

Ich kam zurück, mein Herz mit Hass erfüllt.
Mein Auftrag war Vergeltung, der finale Overkill.
Doch Vater, vergib mir.
Ich hab mich umentschieden, denn ich hab 8 Millionen Klicks und eine Show auf Pro7.
Lass mich noch ein paar Jahre hier, bitte hol mich nicht zurück zu dir.
Denn die sind nicht so wie früher.
Ich glaub, die haben es echt verstanden. Die lieben mich, die wollen Fotos und Autogramme.

Denn ich bin Jesus Christus.

Autor: Kopfsalat

Tinte für 20 Bücher im Bauch

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